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Lieblingsteil

Aus alter Boyfriend-Jeans wird ein Dirndl, aus Kaschmirstrick ein Babyhoody – Hier steht Upcycling auf dem Programm.

TEXT Nadja Unterberger

 

„Tischdecke zu Schürze“ – ein handgeschriebenes Hangtag am Dirndl erzählt eine kleine Geschichte. Denn Lieblingsteil aus Oberbayern steht nicht nur für Resteverwertung im Sinne von Upcycling, sondern bietet liebevoll Trachtiges für Individualisten.

Seit über 20 Jahren arbeitet Gudrun Weber in der Modebranche. Frustriert vom textilen Massenkonsum, hoher Umweltbelastung und den zweiwöchig aufpoppenden Kollektionen der Modeketten, begann sie irgendwann, abgelegte Kleidung aufzubereiten und etwas Neues daraus zu schaffen. Schon ihr erster Dirndl-Entwurf überzeugte: das Mieder aus einem alten Sakko, der Rock aus getragenem Denim sorgte für Begeisterung unter ihren Kolleginnen, sodass sie immer
öfter um Nachschub gebeten wurde. Heute setzt sie in ihrem Atelier in Söchtenau im Landkreis Rosenheim mit ihrem Label Lieblingsteil ein Zeichen für Nachhaltigkeit. Denn hier wird aus einem Nadelstreifen-Sakko des Vaters ein Trachten-Mieder, aus einer Boyfriend-Jeans ein casual Dirndl und aus einem Herrenhemd ein Kinderdirndl.

In Kleinserie fertigt sie in liebevoller Handarbeit ihre Kollektionen aus Flohmarktware und Stoffresten. Mit ihrer Upcycling-Mode sagt die Chiemgauerin der Fast-Fashion Industrie den Kampf an. „Weg von Wegwerfmode, hin zur Wertschätzung der Textilie.“ Umdenken ist laut Weber gefragt, „denn jeder Einzelne von uns trägt Verantwortung“.
Bereits existierende Materialien werden in ihrer Nähwerkstatt zu zeitlosen und hochwertigen Unikaten. Designer, Schnittmacher, Schneider und Näherinnen kreieren in der kleinen Manufaktur Maß- und Einzelanfertigungen – bedarfsorientiert, ressourcenschonend und aus Naturmaterialen oder eben Secondhand-Ware. Nebenbei hat sich Gudrun Weber einer weiteren Aufgabe verschrieben: Sie gibt öffentliche Workshops, in denen sie ihre Handwerkskunst und das
Bewusstsein für Nachhaltigkeit weitergeben will. Aus persönlicher Freude am gemeinsamen Arbeiten entstand die Idee, ganz individuelle Upcycling-Dirndl mit ihren Teilnehmern zu schneidern. Textile Verarbeitungstechniken und allerlei Inspirationen zur Wiederverwertung werden hier ebenso weitergegeben, wie auch die Anerkennung der Handarbeit. „Das Erstaunen ist jedesmal groß, wenn man erkennt, welcher Aufwand hinter einem Kleidungsstück steckt“, so Weber, „hier wächst die Wertschätzung für Kleidung enorm.“ Nicht verwunderlich, schließlich arbeitet man an einem Dirndl zwischen 16 und 21 Stunden. Auch anlässlich des jährlich stattfindenen Fashion Revolution Days bietet sie seit mehreren Jahren Hemden-Workshops an: aus Papas alten Hemden wird ein tolles Ausgeh-Outfit.

Titelfoto: Gudrun Weber
Fotos Seitenleiste: Gudrun Weber
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