DAS TIER AN MIR

TEXT Sophia Bilz

 

Kaum ein Material polarisiert die Modeliebhaber so sehr wie Pelz. Dabei vergessen viele selbsternannte Tierschützer eine andere große Materialsünde.

Ich muss etwas gestehen: In meinem Kleiderschrank hängen derzeit, neben vier Kunstpelzen, zwei Echtpelze, Vintage, und ein Ledermantel, ebenfalls Vintage. Diese Teile anzuziehen, stellt das persönliche Selbstbewusstsein auf die Probe und könnte sogar als Kamikaze-Akt gewertet werden. In Zeiten der Anti-Fur Bewegung, angeführt von den Großen der High Fashion-Branche, Gucci, Burberry, Versace und Calvin Klein, ist das Tragen von Echt-Pelz inzwischen auch in der Münchner U-Bahn eine absolute Todsünde. Zeitgleich mit dieser Bewusstseinsveränderung erlebt der Fake-Fur seit 2015 eine Art Imagewandel. Vorher als unästhetisch und billig verschrien, ist er inzwischen ein absolutes Muss in jeder mode-affinen Garderobe. Der Beweis: siehe Geständnis.

 

Anti-Fur-Movement: Eine Forderung der Verbraucher

Der Wunsch nach einem nachhaltigeren Konsum ist einer der Hauptgründe für die Abkehr von tierischen Materialien. Und der wird vor allem von den Konsumenten selbst gefordert. Den Unternehmen liegt daher vermutlich weniger das Wohl der Tiere am Herzen als ein gutes Marketingkonzept. Inzwischen sind auch günstigere Marken wie H&M, Mango und Zara auf den Zug aufgesprungen und bieten in ihren Winter-Kollektionen täuschend echte Nerzimitate und flauschige Pelzmäntel in Zitronengelb, Giftgrün und Babyblau. Auf dem Waschetikett findet man die üblichen Verdächtigen: Modacryl, Polyester und andere Wunderfasern – alles pure Synthetik, besonders bei den preiswerten Modellen.

Bei den Exemplaren bekannter Designer hingegen kann ein Webpelz schon mal 4.000 Euro kosten. Dabei haben Stoffanbieter die falschen Felle aus Kunst- und Naturfasern bis zur Perfektion weiterentwickelt. Das deutsche Unternehmen Steiff Schulte ist auf Webpelze aus reinem Naturhaar von Alpakas und Angoraziegen spezialisiert. Zu den Auftraggebern gehören Dries Van Noten, Max Mara und Marc Jacobs. Weil das Fell geschoren wird, kommt kein Tier zu Schaden. Viele Firmen wünschen sich, nicht zuletzt durch den Druck der Verbraucher, natürliche Materialien.

 

Natürliche Materialien, aber ohne Tierquälerei

Die berühmteste Veganerin und Tierschützerin der Branche, Stella McCartney ging einen Schritt weiter und verzichtete für ihre Kollektionen neben Echt-Pelz und Leder lange Zeit auch auf Fake Fur. Aber auch sie musste sich letzten Endes den Wünschen ihrer Kundinnen beugen und verwendete für ihre Yeti-Mäntel 2015 Modacryl. „Viele Frauen haben mich nach einer Alternative zu echtem Pelz gefragt. Also dachte ich mir: Dann entwerfe ich doch gleich einen richtig gut gemachten ‚pelzfreien Pelz‘, der jedes Bedürfnis nach echtem Tierfell vergessen lässt“, sagt McCartney.

Gerade durch den technologischen Fortschritt ist es notwendig, noch genauer hinzugucken. Eine Untersuchung der Stiftung Warentest, bei der Jacken und Mützen mit Fellschmuck getestet wurden, zeigt: Wo Fake draufsteht, ist nicht immer nur Fake Fur dran. Der traurige Grund: Die Felle von Marderhunden aus China sind günstiger als die Produktion von Fake Fur. Schätzungen der Tierschutzorganisation Fur Europe zufolge wurden 2017 weltweit knapp 63,1 Millionen Nerze, 12,7 Millionen Füchse und 167.000 Marderhunde für Pelzprodukte getötet. Zahlreiche Dokumentationen zeigen die unwürdigen Haltungs- und Schlachtungsweisen der Tiere und haben auch mich als Vintage-Trägerin zur vehementen Gegnerin von neuproduzierten Pelzwaren gemacht.

 

Soll der vererbte Nerzmantel von Großmutter auf dem Müll landen?

Aber um auf mein eigentliches Dilemma zurückzukommen: Wie gehen wir denn nun mit Vintage-Teilen aus Pelz oder Leder um? Sollen die von Großmutter geerbten Nerzmäntel auf dem Müll landen, nur um in der Öffentlichkeit nicht das falsche Signal zu senden? Woher der Pelz stammt, alt oder neu, spielt für die allermeisten Anti-Pelz-Aktivisten schließlich keine Rolle. Hier geht es ums Prinzip. Eine Begründung, mit der ich schon immer meine Probleme hatte. Die Tatsache, dass Fake Fur und Vegan Leather nur aus synthetischen Fasern bestehen, die es fast unmöglich machen, das gute Stück zu recyceln – und wenn, unter sehr hohem Energieaufwand  –, verstärkt die Zweifel, ob die aktuellen Lieblinge der Modebranche wirklich die Lösung für das Thema Pelz und Leder sind. Erdöl, der Ausgangsstoff für die meisten synthetischen Fasern, lässt die Ökobilanz der flauschigen Teile weiter ins Negative abrutschen.

 

Auf Leder verzichten? Für viele unmöglich

Wer die Debatte zwischen Pelz-Befürwortern und ihren Gegnern verfolgt, wird zwangsläufig auch auf das Thema Leder stoßen. Ja, Leder, und hier sind nicht nur Lederjacken und -taschen gemeint, sondern auch Schuhe, Geldbeutel und vieles mehr. Preis und Label sind hier definitiv keine Versicherung für Qualität und angemessene Herstellungsprozesse. Damit ist für viele dann die persönliche Schmerzgrenze erreicht. Ganz auf Leder verzichten, erscheint zu schwierig. Pelz abzuschwören und sich im Zweifelsfall so als perfekter Tierschützer zu verstehen, ist für den Großteil um einiges leichter, als sich mit dem Thema Leder und – Gott bewahre – der nachhaltigen Produktion von Fleisch auseinanderzusetzen. Das ist vielleicht auch die Erklärung, wieso ich beim Tragen meines Vintage-Ledermantels keine Angst haben muss, mit faulen Eiern bombardiert zu werden. Dabei sind die Umstände bei der Produktion von Lederwaren, für Mensch und Tier, oft nicht minder grausam als die der Pelzproduktion. Die 2013 veröffentlichte ZDF-Doku „Gift auf unserer Haut“ ist auch sechs Jahre später noch eine gute Quelle, um sein Wissen zu dem Thema auf den neuesten Stand zu bringen und sich der ganzen Diskussion etwas demütiger zu widmen.

Um sich ein Urteil bilden zu können, braucht es eine Menge Information. Und so gilt es, sich in allen Bereichen unseres Konsumverhaltens in erster Linie zu informieren, nicht aufzuhören, Fragen zu stellen und ein Bewusstsein für das eigene Verhalten zu entwickeln. Das ist natürlich etwas aufwendiger, aber mit Sicherheit weitaus sinnvoller als Andere vorschnell zu verurteilen und mit Parolen oder Farbbeuteln um sich zu werfen. Eben dieses Prinzip gilt auch bei der Frage nach dem richtigen Umgang mit Pelz und Leder. Ich für meinen Teil bewahre meine Vintage-Unikate weiterhin auf. Und sollte ich im Winter den Drang verspüren, mich besonders rebellisch zu zeigen, führe ich eines von ihnen vielleicht auch mal wieder aus, mit einem durchsichtigen Regen-Cape darüber – sicher ist sicher.

 

Illustrationen: Susanne Bilz

Stand 2019