KOLUMNE: DARÜBER MUSS ICH ERST MAL NACHDENKEN

TEXT Anna-Lena Reith

 

Selbst ein Fair-Fashion Guide wie dieser lädt natürlich zum Konsum ein. Steht das im Widerspruch zu nachhaltiger Mode? Nicht unbedingt, findet eine Modejournalistin.

In aller Herrgottsfrühe, noch vor dem ersten Kaffee, stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Benommen vom Schlaf, wühle ich mich durch den Klamottenberg. Durchs offene Fenster treibt die kühle Morgenluft herein. Heute wird es definitiv ein Pullover, fragt sich nur welcher. Der babyblaue Kaschmir-Pullover? Oder doch der rote Strickpulli? Es scheint mal wieder nichts Cooles oder Schickes da zu sein. Ein Schrank voller Klamotten und trotzdem lockt der Gedanke, in den nächsten Tagen eine Shoppingtour zu starten.

Im Schnitt besitzt eine Frau in Deutschland 118 Kleidungsstücke, besagt eine Studie von Greenpeace. Bei so vielen Anziehsachen ist es klar, dass man einige nicht so oft trägt – und auch, dass laut der Untersuchung 18% der T-Shirts, Blusen und Hosen nur zwei Mal getragen werden, leuchtet ein. Miranda Priestly würde mich jetzt wohl mit hochgezogenen Augenbrauen mustern. Mode ist kein Zeug. Aber trotzdem habe ich so viel, dass ich über manche Shirts, die ich in meinem Schrank entdecke, schlicht erstaunt bin. Es ist einfach zu viel. Ob es nun Textilien, Nahrungsmittel, Zeitschriften oder Schuhe sind. Warum begnüge ich mich nicht mit den Dingen, die ich bereits besitze, warum verbrauche ich tagtäglich Unmengen an endlichen Ressourcen? „There is no planet B“. Wenn wir erst einmal unsere Bäume, Pflanzen, Meere so ausgebeutet haben, dass sie sich nicht mehr regenerieren, ist es zu spät.

Die Menschheit hatte 2018 alle natürlichen, verfügbaren Ressourcen der Erde für dieses Jahr schon am 1. August verbraucht. 1990 fiel dieser Tag erst auf den 7. Dezember. Der World-Overshoot-Day kommt jedes Jahr früher, genauso wie die Erkenntnis, dass man die Erde in den Ruin treibt. Das Schlimme daran: Ich trage ja auch dazu bei, zum Beispiel, wenn ich mir die neueste weiße Bluse mit Puffärmeln und Volants anschaffe. Das kann man wohl auch als Berufskrankheit bezeichnen. Ich bin Modejournalistin und beschäftige mich mit Kleidung, Trends und Geschichte. Eine gründliche Recherche verlangt nun mal, auch die Beschaffenheit und jede noch so kleine Naht zu ergründen. Das kann ich am besten prüfen, wenn die Bluse in meinem Schrank hängt.

Und natürlich dreht vor allem die Modeindustrie selbst am Rad: Fast Fashion schafft es in wenigen Wochen vom Laufsteg in die Läden und auf die Websites. Die Textilindustrie ist die zweitschmutzigste der Welt, vor ihr im Ranking finden sich nur noch die Öl-Multis – eine Nachbarschaft, auf die Fashion-Schöngeister sicher verzichten könnten. Nicht nur die Produktion ist extrem umweltschädlich, auch die Vertriebswege sind es:. Es ist doch so einfach, von der Couch zu Hause aus online beim Lieblingsshop zu bestellen. Das Paket kommt zwei Tage später an, eine schnelle Freude – und wenn es nicht passt, wird’s halt retourniert, kostet ja nix. 2018 waren es fast 300 Millionen Pakete, die wieder zurückgegeben wurden und damit den doppelten Transportweg durchliefen. Dass viele Online-Händler zurückgeschickte Ware einfach vernichten, sorgt derzeit für heftige Debatten.

Ich liebe Kleidung, Veränderung und alles, was dazu gehört. Aber gerade weil ich Mode so schätze, will ich auf keinen Fall, dass sie zu einem Wegwerfartikel verkommt. Ich will, dass Mode weiterhin ein Teil meines Lebens sein darf. Sie bereichert uns, spiegelt den Zeitgeist viel besser wider, als jede Dokumentation es je könnte, und lässt uns die eigene Persönlichkeit ausdrücken.

Ende der 60er Jahre entstand in London die Punk-Szene: wohl eines der besten Beispiele, wie man seine Klamotten benutzen kann, um eine Einstellung zu zeigen. Junge Arbeitslose und Studenten rebellierten mit Nieten-bestückten Lederjacken, T-Shirts mit provokanten Slogans oder Springerstiefeln gegen das Establishment. Eine Londonerin war es auch, die schon früh den Zusammenhang zwischen Kleidung und Umwelt erkannt hat. Punklegende, Modedesignerin und Umweltvisionärin Vivienne Westwood brachte es mit ihrer Ansage auf den Punkt: „Buy less, choose well, make it last.“

Ich muss nicht unbedingt Teil einer No-Shopping-Bewegung werden, um Ressourcen zu schützen, sondern einfach das Hirn einschalten und mir genau überlegen, wie ich einkaufen werde. Mit Sinn, Verstand, Strategie und Herz. Einige Modelabels in München beweisen gerade, dass es möglich ist, anders und fair zu produzieren. Ich werde in Zukunft mehr auf die Designer meiner Region achten und dort einkaufen – ja, da kostet ein Pullover mehr, aber dafür hält er länger. Ich will mich morgens, wenn ich vor meinem Kleiderschrank stehe, nicht fragen müssen „#whomademyclothes?”. Ich will morgens aufstehen, mit einem breiten Grinsen meine Lieblingsteile begutachten und sie guten Gewissens mehrere Saisons tragen können.

 

Zu dieser Kolumne gibt es auch einen Podcast: https://www.buygoodstuff.de/podcast-ueber-di…-mode-und-konsum/

Stand 2019

Illustration: Lisa-Maria Reith